Erleben der Langsamkeit

© Manfred Boelke / pixelio.de

© Manfred Boelke / pixelio.de

Auf dem gut besuchten Gemeindenachmittag im Mai hielt Jürgen Hansen einen Bildervortrag zu seiner Wanderung auf dem Jakobsweg. Er war 35 Jahre lang Lehrer an der TSS in Husum gewesen, diese Reise unternahm er nach seiner Pensionierung im Frühjahr 2011, um Abstand vom aktiven Leben an der Schule zu bekommen. Ausgerüstet mit Pilgerpass und Jakobsmuschel, die früher zum Wasserschöpfen verwendet wurde, mit Stiefeln, Wanderstöcken, Reiseführer und Rucksack ging es los. Mehr als sechs Wochen dauerte die etwa 800 km lange Wanderung von den Pyrenäen bis Santiago de Compostela. Hier liegt der Überlieferung nach der Apostel Jakobus begraben.
Durch den lebendigen Vortrag und die vielen Bilder hatte man beinahe das Gefühl, mit dabei gewesen zu sein. Wir sahen Bilder von Landschaften, Wegen, mittelalterlichen Brücken, Kathedralen, Klöstern, Kapellen, Herbergen, steinerne Wegzeichen und Menschen auf der Wanderung. Jürgen Hansen erzählte auch Interessantes über die Entstehung von Bräuchen, z.B. dass das Gehen des Jakobswegs im Mittelalter als Möglichkeit zur Vergebung der Sünden angesehen wurde und deshalb Kontrolle unterwegs nötig war. Bis heute lässt man sich in den Herbergen seine Anwesenheit abstempeln. Bis heute ist der Jakobsweg auch eine spirituelle Wanderung, die an zahlreichen Spuren der christlichen Vergangenheit vorbeiführt und zur Reflexion einlädt.

© Andreas Brockmann / pixelio.de

© Andreas Brockmann / pixelio.de

Die Herbergen werden von ehemaligen Pilgern aus aller Welt betreut. Man darf nur eine Nacht bleiben. Sie sind sehr einfache billige Unterkünfte, morgens geht man sehr früh los, abends erquickt ein 3-Gänge-Menü und ein Glas Wein, dann sinkt man gegen 20.30 Uhr in den wohlverdienten Schlaf. Es gibt auch einige alte Herbergen, in denen nach der Abendandacht das Essen gemeinsam zu bereitet wird.
In den Herbergen beim Essen oder beim Wäschewaschen, unterwegs an Brunnen längs des Weges oder bei Pausen auf steinernen Bänken entstehen Kontakte zu anderen Pilgern. Denn auch wenn es am besten ist, allein zu wandern um mit den eigenen Gedanken konfrontiert zu sein, so ist der abendliche Kontakt doch unverzichtbar und führt oft zu einem tiefen Gedankenaustausch.
Der Pilgerweg bietet viele Möglichkeiten sich zu verirren. Man lernt aber mit der Zeit, nicht nur die großen steinernen, sondern auch ganz kleine Wegweiser oder gelbe Pfeile zu finden. Zudem ist die Bevölkerung sehr hilfsbereit. Wer das Ziel erreicht hat, holt sich im Pilgerbüro seine Urkunde. In einer Messe werden die Pilger dann öffentlich gewürdigt.

Zum Schluss des Vortrages sahen wir eine Skulptur aus Santiago de Compostela, die die griechischen Buchstaben für „Anfang und Ende“ vertauscht hat, sodass man liest „Ende und Anfang“. So wird symbolisch deutlich: Hier endet der Jakobsweg und hier beginnt dein neues Leben.
Trotz der Anstrengung, sechs Wochen lang jeden Tag 25 km oder mehr zu wandern, hat Jürgen Hansen diese Reise als Erholung erlebt: Es war keine weitere Planung nötig, der Weg lag fest, Unterkünfte gab es genug und man konnte in seinem eigenen Tempo die Strecke zurück legen. Es dauerte etwa vierzehn Tage, bis er gelernt hatte, alles fallen zu lassen. Darum war es gut, dass er sich so viel Zeit für die Wanderung nehmen konnte.

Ich nehme aus diesem Vortrag mit, wie wichtig und bereichernd es ist, an die eigenen Grenzen zu kommen, sich einer Aufgabe zu stellen und zu erleben, dass der Weg das Ziel ist. Es ist für mich ein Anstoß, Langsamkeit und bewusste Wahrnehmung in den Alltag zu bringen, jenseits des Jakobwegs.

Irmtraut Mitzkus

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.