Sommerzeit ist immer auch Urlaubszeit; und Urlaubszeit heißt in der Regel Erholung und Entspannung, heißt Sommer, Sonne, Strand und Meer.
Ein Bild kommt mir in den Sinn, das man jedes Jahr aufs Neue an den Stränden von Nord- und Ostsee beobachten kann: Ein Junge steht am Strand und breitet die Arme aus. Er ist vollkommen bei sich. Glücklich. Sein lautes Jauchzen kann man nicht hören im Wind. Der Wind zerzaust seine Haare und bauscht sein T-Shirt. Er fühlt sich frei. Sein ganzer Leib liefert sich der Natur aus. Mit allem, was er ist, steht er da. Im Einklang mit dem, was er spürt. Alle Grenzen und Unvollkommenheiten seines Körpers sind ihm egal. Er ist einfach da.
Ich betrachte ihn. Seine unbändige Freude berührt mich. Ich will ihn gar nicht ansprechen, um ihn nicht aus seiner Verbundenheit mit sich und der Natur herauszuholen. Mit Leib und Seele wendet er sich der Welt zu und lässt sich berühren und erfüllen. Wenn er sich wieder umdreht, werden seine Augen leuchten, da bin ich ganz sicher.
Manchmal sehne ich mich nach diesem ursprünglichen Erleben von Freiheit und Glück. Sich ganz hingeben zu können an die Welt, ganz bei sich selbst sein, den Augenblick spüren. Mich selbst so spüren, wie ich bin. Verbunden sein. Nicht daran denken, was als nächstes getan werden muss. Auch nicht daran denken, an welcher Stelle der Körper nicht der Norm entspricht, wo die Pölsterchen sitzen, die sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte so eingeschlichen haben. Offen sein für das, was kommt und das, was ist. „Preist Gott mit eurem Leib“, fordert Paulus uns auf.
Unser Körper ist wichtig. Jede Medizinerin rät ihren Patienten, auf den eigenen Körper gut Acht zu geben, sich gesund zu ernähren und regelmäßig Sport zu treiben – damit mein Körper fit und in Form bleibt. Ich habe nämlich nur diesen einen Leib. Oder vielmehr: Ich bin in diesem einen Leib. Ich kann mich von meinem Leib nicht abschneiden, ich lebe in Leib, Seele und Geist. Wie oft bin ich mit meinem Leib nicht zufrieden. Zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu wenig trainiert. Dann distanziere ich mich von mir selbst, schneide mich ab von meiner leib-seelischen Einheit, betrachte den Leib mit Distanz.
In den letzten Jahrzehnten hat sich eine ganze, mit aufwendiger Werbung unterstützte Leib-Optimierungs-Industrie gebildet, die mich bei meinen fragwürdigen Versuchen, meinen Körper zu verbessern, unterstützt. Oder ich distanziere mich vom Körper und funktioniere im Kopf. Vergesse, dass ich ein Mensch mit leiblichen Bedürfnissen bin und alles miteinander zusammenhängt.
Wir haben keinen Leib, wir sind Leib. Wir können das Tun und Ergehen unseres Leibes nicht interessiert betrachten und analysieren. Wir stecken drin. Und was der Leib tut, drückt sich in die Seele ein. Wir leben auch in unseren Beziehungen mit Leib und Seele, auch in unserer Beziehung zu Gott. Alles gehört Gott, ich gehöre Gott, auch mit den Falten, die sich an bestimmten Zonen meines Körpers ausbreiten.
Noch einmal betrachte ich vor meinem inneren Auge den Jungen am Meer: So unmittelbar verbunden, frei und erfüllt ist er. Für mich als Betrachter tut er genau das, was Paulus schreibt: Er preist Gott mit seinem Leib. Voller Freude und Dankbarkeit gibt er sich so an den Augenblick hin, wie er ist. Ganz und gar, mit Leib und Seele. Er liebt, was er tut und spürt. Er denkt nicht schon an das Nächste.
Ich nehme sein Bild mit. Es ist nicht egal, wie ich mit meinem Leib umgehe. Ich habe nur den einen – vielmehr: Ich bin nur in dem einen Leib. Für mich selbst zu sorgen, mit Leib und Seele – denn so wie ich bin, ganz und gar, mit Leib und Seele, bin ich mir selbst geschenkt.
Dankbar stelle ich mich gedanklich neben den Jungen. Der Wind zaust an meinem Haar. Mein T-Shirt bauscht sich. Ich bin glücklich.
Ihnen und euch allen eine gesegnete Sommer- und Herbstzeit!
Ihr und euer
Ralf Pehmöller