Möchten Sie lieber nicht gelebt haben?

Die Frage kam plötzlich – und sie war großartig. Das Wochenendseminar weniger. Das war eher etwas langatmig und drehte sich allgemein um Lebensfragen. Da hatte jeder und jede viel zu sagen. Manchmal gähnten einige auch ein wenig vor sich hin. Aber dann kam die eine Frage – und alle waren plötzlich hellwach. Die Leiterin fragte uns: „Wo wir doch jetzt so einigermaßen Bescheid wissen über das Leben – möchten Sie dann eigentlich lieber nicht gelebt haben?“

Die Frage hatte es in sich. Alle reckten ein wenig die Köpfe oder öffneten die müden Augen etwas weiter. Manchem blieb der Mund offen stehen: „Nach allem, was Sie jetzt vom Leben wissen – möchten Sie dann lieber nicht gelebt haben?“ Nach der ersten Stille begann ein Gespräch. Erst zaghaft, dann immer lebendiger. Manche regten sich auf und meinten, so dürfe man nicht fragen, wir hätten schließlich gar keine Wahl. Stimmt, sagte die Leiterin, aber Gedankenspiele sind doch auch mal ganz schön und können ein wenig helfen. Sie könnten uns helfen, das Leben von allen möglichen Seiten zu betrachten.

Mir hat die Frage geholfen. Ich habe sie seitdem immer bei mir getragen. Und wenn ich mich das heute frage, sage ich eindeutig: Ja. Ja, ich möchte leben; ich möchte das Leben gelebt haben. Das heißt nicht, dass das Leben immer schön ist. Es gibt sehr viele Menschen, die ihr Leben weniger schön finden, manchmal sogar wie eine ziemliche Last. Aber ich möchte es leben, mein Leben. Ich möchte alles Schöne genießen dürfen und das Traurige, wenn es nötig ist, tragen müssen. Ich möchte die Leichtigkeit und die Schwere des Lebens haben dürfen.

Das Leben lehrt mich ja etwas, auch wenn es das vielleicht gar nicht will. Es lehrt mich, was das Schönste am Leben überhaupt ist, nämlich: die Hoffnung. Ich hoffe gerne, dass etwas gut ausgeht. Ich hoffe auch, dass eines Tages, wenn Gott es will, einmal wirklich alles gut wird in seinem Himmel. Und um zu hoffen, muss ich leben können. Wenn ich nicht gelebt hätte, wüsste ich nicht, wie schön es ist zu hoffen. Das Hoffen auf Gott, der mehr vom Leben weiß als ich; der größer und weiter denkt.

Jedes Mal, wenn ich auf etwas hoffe, wird mir ein bisschen leichter ums Herz. Und schon das ist es mir wert, das Leben zu leben.

Ihr und euer
Ralf Pehmöller

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